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Nachtmanager der „Stadt nach Acht“

Nils Runge arbeitet in Stuttgart als sogenannter Nachtmanager. Im Rahmen unserer StadtLab Dialogreihe erklärte er, was dies für ihn und die Stadt bedeutet.

Lobby für die Nacht

„Hört ihr Herrn und lasst euch sagen…“ Wenn dieses Sprüchlein heutzutage erklingt, sehen wir meist ein kleines Touristentrüppchen hinter einem mittelalterlich gekleideten Reiseführer einher stolpern. Ausgerüstet mit Hellebarde, Horn und Laterne, erklärt dieser – in der Rolle des Nachtwächters –  dem interessierten Grüppchen, wie die Stadt im Mittelalter einmal aussah. Wie er sie vor Feuer und Unholden schützte und stündlich mit besagtem Sprüchlein die Zeit ansagte. Dabei hat der damalige Nachtwächter nicht mehr wirklich viel mit heutigen gemein. Denn: Es gibt sie seit einigen Jahren wieder. Wo Paris vor einigen Jahren den Anfang machte, beschäftigen sich hierzulande Nachtbürgermeister, Night-Major oder Nachtmanager mit den nächtlichen Aktivitäten und Bedürfnissen ihrer Stadt. Ihr Job ist dabei ein Balanceakt zwischen verschiedensten Bedürfnissen. Im StadtLab erzählte Nils Runge im Rahmen der Dialogreihe von seiner Arbeit. Vor drei Jahren wurde dieser zum ersten Nachtmanager der Stadt Stuttgart und die Region gewählt.

Der studierte Kulturmanager, DJ und Veranstalter kennt die Szene in seiner Wahl-Heimatstadt selbst aus erster Hand und erklärt: „Ich liebe das Nachtleben. Ich wollte in diesem Bereich unbedingt etwas bewegen. Ich komme ja aus einem nicht ganz so offiziellen Bereich des Nachtlebens und musste mir meine eigene Rolle erst selber erarbeiten. Als Nachtmanager wollte ich es nachfolgenden Generationen leichter machen. Denn Nachtleben ist für mich mehr als Schmutz, Lärm, Rausch. Es ist vor allem Spaß und Freundschaft. Es ist einfach Stadt. Und es ist Teil des Lebens. Mit dem Job hatte ich die Chance, meine Leidenschaft für die Nachtkultur und mein erlerntes, strategisches Denken miteinander zu verzahnen. Manchmal ist es ganz schön viel, aber ich liebe es! Ich selbst sehe mich dabei als Lobby für die Nacht, weil häufig niemand für sie spricht. Das gelingt mir natürlich mal besser und mal schlechter.“

Hinsichtlich seiner Aufgaben macht Nils Runge aber auch klar: „Wir sind keine Nachtwächter, die mit Pike und Lämpchen durch die Straße laufen und für Ruhe sorgen. Wir probieren Nachtkultur strategisch in die Stadtentwicklung einfließen zu lassen. Dabei ist es egal, ob die Stelle bei der Wirtschaftsförderung, im Kulturamt oder im Stadtmarketing angesiedelt ist. Dass wichtigste ist, die Freiheit der Kompetenz, welche wir bekommen. Dass wir uns ausprobieren und verwaltungsübergreifend arbeiten können.“

 

Nachtökonomische Studie Stuttgart 2023

Die Wichtigkeit dieser Stelle zeigt auch eine Studie, welche die Stadt Stuttgart im Jahr 2023 in Auftrag gab und die Nils Runge an diesem Abend vorstellt. Demnach beträgt die direkte und indirekte Wertschöpfung durch das Nachtleben allein der Landeshauptstadt Stuttgart beachtliche 148 Millionen Euro. Das zeigt: Ein vielfältiges Nachtleben ist durchaus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für eine Stadt. Doch der finanzielle Aspekt ist nur eine Seite der Medaille. Denn ein gesundes Nachtleben, erklärt der Nachtmanager, ist vor allen Dingen gesellschaftlich ein großer Hebel. Es fördert den Zusammenhalt , generiert Gemeinschaft und Interaktion. Viele der befragten Gäste verbinden zudem ein vielfältiges Angebot im Nachtleben mit den Attributen Urbanität und Attraktivität. Darüber hinaus ist das Nachtleben eben auch ein großer Anziehungspunkt für die Region. Denn laut Studie kommt jeder dritte Gast nicht aus Stuttgart. Dennoch verbleiben viele Ausgaben in der Region, welche so indirekt davon profitiert.

Die Studie offenbarte zudem auch eines der zentralen Betätigungsfelder des Nachtmanagers: das Konfliktmanagement. Denn, so erklärt Nils Runge, fünfzig Prozent der Nachtbetriebe sind in ihrem Fortbestand bedroht. Ein der zentralen Gründe dafür sind Lärmbeschwerden. Allein die Beschwerden, welche die Gastronomie betreffen, sind im letzten Jahr ganze 108 Prozent nach oben gegangen. „Das liegt sicher auch an Corona, wo sich die Menschen mehr an Ruhe gewöhnt haben“,  begründet er die Situation. „Immerhin sind 71 Prozent der Betriebe auf ihre Außenfläche angewiesen. Zudem hat Stuttgart durch seine Kessellage ein sehr zentriertes Nachtleben.“ Ganze 75 Prozent der Betriebe sind demnach im Innenstadtbereich angesiedelt. Da entstehen natürlich Konflikte verschiedenster Art. Hier gilt es zu moderieren aber auch sich nicht der Illusion hinzugeben, alles perfekt zu machen. Ich sage immer: „Wenn ich es schaffe, 20-30 Prozent der Konflikte zu befriedigen, dann habe ich schon viel geschafft. Denn die Konflikte sind von Fall zu Fall sehr unterschiedlich und wir sind immer auf die Gesprächsbereitschaft der verschiedenen Personen angewiesen.“

Nachtakteure an einem Tisch

Das Nachtleben als Standortfaktor ernst zunehmen, die Nachtökonomie als Wirtschaftsfaktor zu entwickeln, Räume des Nachtlebens zu sichern und natürlich, Nachtkultur überhaupt zu ermöglichen – das empfiehlt die nachtökologische Studie der Landeshauptstadt Stuttgart. Die Stelle von Nils Runge als Nachtmanager zielt daher auch darauf ab, „die Potenziale der Nachtökonomie zu nutzen. Dafür gilt es vor allen Synergien zwischen Handel, Dienstleistung und Kultur zu schaffen und die Vielfalt der örtlichen Szene zu stärken.“

Damit dies gelingt, hat man sich in Stuttgart verschiedene, sehr konkrete Handlungsziele gesetzt. Eines dieser Ziele war es beispielsweise den Nacht-ÖPNV zu stärken, der in der Umfrage unter den Stuttgarter Gästen besonders schlecht weg kam. Ganz im Gegensatz übrigens zu den Anreisebewertungen, erklärt Nils Runge. Die wurden nämlich durchweg positiv bewertet. Auch die Stärkung von Awareness-Maßnahmen war demnach klares Ziel. Um dieses umzusetzen, hat Nils Runge, in Zusammenarbeit mit Betrieben und Einrichtungen des Nachtlebens, die Kampagne „we are aware“ gestartet. Hier beschäftigen sich alle Teilnehmenden in speziellen Workshops mit dem Thema und entwickeln gemeinsam einen Leitfaden, um das „Handlungsrepertoire bei Awarenesssituationen im Feierkontext“ zu erweitern. Auch das Projekt „Nachtboje“ – welches Einrichtungen sichtbar macht, die nachts einen Rückzugsraum und Unterstützung für Hilfesuchende anbieten, ist ein Ergebnis seiner Nachtmanager-Arbeit.

 

Ping Pong zwischen Subkultur und Stadtverwaltung

In seiner Arbeit unterstützt wird Nils Runge durch Andreas Topp, dessen Stelle wiederum bei der Wirtschaftsförderung der Stadt angesiedelt ist. Und der, vereinfacht gesagt, seinen Fuß in der Tür zur Verwaltung stehen hat. „Andreas kann verwaltungsinterne Informationen angucken und sich in der Verwaltung umhören. Ich wiederum kann ihn mit Informationen von außen versorgen. Das ist ein starkes Ping Pong“, erzählt er. „Da seine Stelle allerdings erst neun Monate nach meinem Jobantritt besetzt wurde, ist die Aufgabenverteilung mittlerweile sehr fluide. Es hatte somit auch seine Vorteile, dass die zweite Stelle erst später besetzt wurde. So musste ich in den ersten Monaten auch viel Verwaltungsarbeit übernehmen. Das hilft mir heute ungemein.“

Überhaupt ist Nils Runges Schlagwort „Vernetzung“. Er stellt fest: „Netzwerk ist das A und O. Eine der ersten Aktionen, nachdem ich die Stelle bekommen hatte, war, dass ich 40 Akteure aus dem Nachtleben an einen Tisch geholt habe. Ich habe allen die gleichen Fragen gestellt und versucht Schnittstellen – quasi den kleinsten gemeinsamen Nenner herauszufinden. Denn, Nachtleben geht nur gemeinsam. Es ist einfach so mannigfaltig. Aus diesem Prozess heraus, haben wir dann auch das ‚Netzwerk Nachtleben‘ gegründet. Da sind mittlerweile um die 130 Akteur*innen drin – Clubs, Bars, Sicherheitsfirmen, Interessierte… Mit denen machen wir unterschiedliche Netzwerkangebote und Workshops. Wir fragen, was ihre Themen sind und was sie gerade interessiert. Daraus ziehen wir auch unseren Input. Ob innerhalb der Verwaltung oder der Szene. Wir sind letztlich ja keine Heilsbringer, sondern können nur Impulse setzen, die wir gemeinsam voranbringen.“

 

Prozesse brauchen Zeit

Das Gespräch im StadtLab zeigt auch: Diese gewisse Lässigkeit, mit der Nils Runge an die Themen seiner Arbeit herangeht, ist wichtig, denn sie sorgt in gewisser Weise eben gerade dafür, dass sich kein Scheuklappenblick einschleicht. Dies zeigt auch die Frage eines Besuchers, der wissen möchte, wie man es schafft, dass die verschiedenen Akteure aus den unterschiedlichen Bereichen an einem gemeinsamen Tisch zusammen zubringen. Der Nachtmanager erklärt dazu: „Das ist ein Prozess. Netzwerke müssen sich über Jahre entwickeln und ausbauen. Es gibt auch Akteure, die wollen sich eher abkoppeln und ihr Ding machen. Das finde ich aber auch gut. Für die Kontaktaufnahme untereinander nutzen wir ganz klassisch einen bürokratischen E-Mail-Verteiler. Zumindest in der ganz großen Truppe, wo alle dabei sind. Whats-App Gruppen haben wir eher in der freien Szene. Wir versuchen immer verschiedene Formate und Themen zu setzen und darüber Akteure einzuladen. Da darf man dann allerdings nicht den Anspruch auf Vollständigkeit haben. Man muss aber immer allen die Türe offen halten, um ins Gespräch zu kommen. Das halte ich für ganz wichtig.“

Alle Jahre wieder …

Im Dezember 2024 verwandelte Tillmann Lützner mit der Freien Bühne Jena das StadtLab in ein offenes Theater und belebte die Innenstadt jeden Abend mit der Öffnung eines Kultürchens. Im Interview gewährt der Initiator des einzigartigen Kulturprogramms einen Blick hinter die Kulissen des Projekts.

Kultürchen

…kommt das Christuskind. Das bekannte Lied ist nur eine der vielen Konstanten, die uns jedes Jahr zur Weihnachtszeit begleiten. Ob das obligatorische Plätzchenbacken, das traditionelle Anzünden der Adventskerzen oder der geschmückte Tannenbaum – Weihnachten ist wohl das am stärksten ritualisierte Fest des Jahres. Dies gilt insbesondere auch für die Adventszeit, in der die Stadt alljährlich ihren großen Auftritt hat: duftende Weihnachtsmärkte, glitzernde Beleuchtung und natürlich… Shopping, Shopping, Shopping. Schließlich müssen die Geschenke für die Liebsten irgendwo besorgt werden. Zu keiner anderen Zeit im Jahr bietet die Stadt ein so attraktives Erlebnis- und Begegnungspaket.

In Jena gehört seit einigen Jahren auch das „Kultürchen“ zum städtischen Vorweihnachtspaket. Angelehnt an den klassischen Adventskalender, bietet es 24 Tage lang ein kostenfreies abendliches Kulturprogramm. Organisiert wird es vom Theaterverein „Freie Bühne Jena“. Damit ist es eines der vielen städtebereichernden Angebote, die durch die freie Kulturszene Jenas realisiert werden. Im Gespräch erzählt uns Organisator Tillmann Lützner, warum der Kalender in diesem Jahr seine Türchen im StadtLab öffnet, wie es überhaupt zu diesem besonderen Angebot kam und welche Herausforderungen dieses mit sich bringt:

„Das Ganze hat 2011 in der Johannisstraße ganz klein angefangen. Wir hatten dort ein vierzig Quadratmeter großes Büro und haben für zwei, drei Leute im Advent Programm gemacht. Von 2013 bis 2018 waren wir dann im Johannistor, mussten aber aus Denkmalschutzgründen raus. Seitdem suchen wir jedes Jahr einen neuen Ort. Meistens handelt es sich um Zwischennutzungen, da wir keinen eigenen großen innerstädtischen Raum haben, der dauerhaft nutzbar ist. Zwar haben wir den Kulturschlachthof, in dem wir viel machen, aber für diese Veranstaltungsreihe ist der Ort zu weit draußen. Dieses Jahr sind wir im StadtLab gelandet. Ich finde es toll, im innerstädtischen Raum aktiv zu sein und neue Orte zu beleben. Das war von Anfang an Teil des Konzepts der Freien Bühne, auch weil es keinen festen Spielraum gab. So gehört die Raumsuche ‚alle Jahre wieder‘ quasi zum Konzept.

Durch diese ständigen Ortswechsel sind wir gezwungen, jedes Jahr neu zu denken. Man kommt an einen neuen Ort und setzt sich mit dessen Gegebenheiten auseinander. Hier im StadtLab hatten wir zum Beispiel ganz andere Rahmenbedingungen. In früheren Räumen konnten wir einfach einen Dübel in die Wand hauen. Hier geht das nicht. Dafür haben wir Heizung, Kühlschrank und keine großen Aufwände für die Infrastruktur. So konnten wir diesmal alles in kurzer Zeit aufbauen und sehr planvoll vorgehen – ein Novum für uns, denn normalerweise erfahren wir erst eine Woche vorher, ob wir die Location nutzen können. Insgesamt macht dieser Wechsel aber auch den Reiz aus.“

Eine weitere „Publikumstür“ eröffnete sich dem Team der Freien Bühne während der Pandemie: „2021 kam mit der Coronazeit auch der Livestream dazu. Dank einer Förderung konnte ich damals Streamingtechnik anschaffen und ein kleines Studio im Markt 5 einrichten. So konnten wir das Kultürchen auch in kontaktlosen Zeiten anbieten. Das Konzept des Livestreams will ich auch weiterhin verfolgen. Solche Räume wie das StadtLab sind dafür ideal. Durch das Streaming ist die Veranstaltungsform hybrid geworden – wir haben ein Live-Publikum und Zuschauer, die unser Programm online verfolgen.

Uns ist es wichtig, die Partizipation möglichst niederschwellig zu gestalten. Das Programm ist deshalb kostenfrei. Wir selbst verdienen daran nichts. Ein Teil der Kosten wird über eine Spielzeitförderung gedeckt, der Rest über Spenden finanziert. Die Idee der freien Partizipation ist ein Grundpfeiler des Kultürchens und spiegelt sich auch in der Programmgestaltung wider. Theoretisch kann jeder mitmachen. Ein paar Wochen oder Monate vorher rufen wir Interessierte auf, sich zu beteiligen. So kommen Bands aus Jena, Theaterprojekte und vieles mehr zusammen. Alle Beteiligten arbeiten ehrenamtlich – abgesehen von meiner eigenen Position.

Natürlich bringt der alljährliche Raumwechsel auch Herausforderungen mit sich. Einige Leute sagen: ‚Wir konnten euch gar nicht finden. Ihr seid nicht sichtbar‘. Es braucht immer eine Anlaufphase, auch für uns. Weil wir alles in einem kleinen Team organisieren, fallen am Anfang oft einige Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit hinten runter. Aber das kennen wir von der Freien Bühne. Schon immer war es für viele schwierig, uns irgendwo fest zu verorten, da wir keinen festen Spielort haben.

Letztlich lebt der Verein – und damit auch das Kultürchen – von persönlichem Engagement und Leidenschaft. Jeder gibt, was er kann, und jeder kleine Schritt zählt.“